Definition und Geschichte der Agilität
Das Wort agil stammt vom lateinischen Wort “agilis” ab und bedeutet beweglich, wendig oder eifrig. Eigentlich beschrieb der Begriff Menschen, doch wird er mittlerweile auch auf den organisatorischen Kontext angewendet. In diesem Zusammenhang bedeutet Agilität das flexible Reagieren auf neue Anforderungen und unvorhergesehene Ereignisse. Eine Organisation ist in Bezug auf diese Veränderungen allerdings nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv. Man spricht also von der Wendigkeit und Beweglichkeit der Organisation und ihrer zugehörigen Organisationsstruktur und ihrer Prozesse.
Erstmals in der Wissenschaft tauchte das Thema in den 1950er Jahren in der Soziologie auf im Zusammenhang von Gruppenverhalten. Auf Basis dieser Arbeiten entwickelte der Soziologe Talcott Parsons das Agil-Schema, welches die Grundfunktionen beschreibt, die jedes System braucht, um sich selbst aufrechtzuerhalten. Diese Fähigkeiten stellen sich folgendermaßen dar:
- Adaption: Anpassung an sich verändernde äußere Bedingungen
- Zielverfolgung: Definition und Verfolgung von Zielen
- Eingliederung: Herstellung und Absicherung von Zusammenhalt und Einschluss
- Aufrechterhaltung: Konservierung von grundlegenden Strukturen und Wertmustern
In den 90er Jahren kam es dann zu einer deutlich unternehmerischen Auslegung des Begriffes Agilität. Ein Bericht des Iacocca Institutes der Lehigh University forderte ein strategisches Umdenken der produzierenden US-amerikanischen Wirtschaft für das 21. Jahrhundert. In dem Bericht findet man folgende Definition des Agilitätsbegriffes (übersetzt): “Ein produzierendes System mit außergewöhnlicher Kapazität, um sich an die schnell verändernden Bedürfnisse des Markts anzupassen. Ein System, dass schnell zwischen Produktmodellen oder Produktlinien auswählen kann, idealerweise in Echtzeit-Antworten auf die Kundennachfrage.” Hier wird die stärkere Kundenfokussierung sehr deutlich.
Um die Jahrtausendwende fand eine weitere Veränderung des Verständnisses von Agilität statt, sodass die Prozessorientierung in den Fokus kam. Das heutige Verständnis resultiert vor allem aus dem Agilen Software-Manifest von US-amerikanischen Softwareentwicklern, wodurch das gegenwärtige Verständnis noch eng mit der Softwareentwicklung verknüpft ist. In der Vielzahl von Definitionen, die mittlerweile existieren, lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen. Es geht um ein erhöhtes Maß an Flexibilität bzw. Anpassungen an die Umwelt, die Geschwindigkeit dieser Anpassungen und die veränderten Marktentwicklungen. Auf diese Marktveränderungen soll im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden, um die Notwendigkeit von Agilität in Unternehmen herauszustellen
Warum ist Agilität heutzutage notwendig?
Die Marktanforderungen haben sich vor allem durch Globalisierung, Digitalisierung und Demografie verändert. Das Akronym VUCA fasst diese Veränderungen zusammen. VUCA steht für zunehmende Geschwindigkeit (volatility) , erhöhte Unsicherheit (uncertainty), steigende Komplexität (complexity), und Mehrdeutigkeit von Informationen (ambiguity). Diese Eigenschaften der Vuca-Welt führen dazu, dass die Strukturen und Prozesse von Unternehmen hinterfragt werden müssen. Organisationen müssen in einer schnelllebigen Geschäftswelt die nächsten Entwicklungen antizipieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. In einem Klima der Ambivalenz sind sie mehr als je zuvor gefordert.
Globalisierung
Einer der wichtigsten Gründe für Agilität in Unternehmen ist die Globalisierung. Die Organisationen und Volkswirtschaften werden immer vernetzter und vielseitiger. Die unübersichtlichen Strukturen und wechselseitigen Abhängigkeiten führen zu mehr Komplexität. Konkurrenten produzieren oft schneller und günstiger, wodurch massiver Innovationsdruck entsteht und die Konkurrenzsituation nie dagewesene Schärfe erfährt. Unterm Strich kommt es durch diese Entwicklungen zu einer Steigerung der Veränderungsgeschwindigkeit. Die alten Formen der Arbeitsorganisation reichen nicht mehr, um diese enorme Komplexität der Märkte zu beherrschen.
Digitalisierung
Die Globalisierung wird durch die Digitalisierung nochmal beschleunigt. Ab dem Moment, in dem ein Unternehmen seine Produkte online anbietet, nimmt es Teil am weltweiten Wettbewerb. Digitalisierung wird als Möglichkeit angesehen, um mit Folgen der Globalisierung umzugehen. So soll der Prozess der Leistungserstellung verkürzt werden und führt mitunter zu einer kompletten Veränderung des Geschäftsmodells. Digitalisierung macht allerdings nicht vor der Welt der Kunden halt. Durch die neuen Wege der Kommunikation verändert sich das Nachfrageverhalten der Kunden nicht nur schneller, sondern ist auch schwieriger vorherzusagen. Die veränderten Lebenswelten der Kunden und die neue Konkurrenzsituation veranlassen viele Unternehmen zum Umdenken.
Demografie
Als weiterer Faktor, der die Entwicklung von Agilität vorantreibt, gilt der demografische Wandel. Immer mehr Menschen aus der Generation Y und Z treten in den Arbeitsmarkt ein und bringen durch ihre Vorstellungen neue Herausforderungen in die Unternehmen. Diese Generationen streben nach Autonomie und Freiheit und passen daher gut zu den Werten in der Agilität. Der Anpassungsdruck dieser Generationen ist aufgrund der demografischen Entwicklung wesentlich geringer und die Betonung von Sinnhaftigkeit und Lerninteresse formulieren neue Ansprüche an Unternehmen. Damit entstehen neue Herausforderungen für ältere Führungskräfte, die nicht nur die Unterschiede zwischen den Generationen akzeptieren müssen, sondern die notwendigen Veränderungen auch aktiv fördern.
Was bedeutet Agilität im Unternehmen?
Agilität führt zu einer Veränderung in einer Vielzahl von Bereichen innerhalb der Organisation, die auch untereinander vernetzt sind. Diese Bereiche sind Kundeneinfluss, Struktur, Kommunikation, Führung, Prozesse, Lernen und Entscheidungsfindung. Agilität verändert die Organisationsstruktur und die Arbeitsweisen grundsätzlich. In der Folge sollen nun diese Veränderungen jeweils gesondert pro Bereich skizziert werden. Dabei lassen sich in jedem Bereich Subkategorien identifizieren, die direkt betroffen sind.
Kundeneinfluss
Oftmals ist in klassischen Unternehmen der Kunde kein aktiver Teil der Kommunikationsstruktur und wird daher in die Gestaltung der Prozesse nicht eingebunden. Daher sollte der Kunde in die Ziel- und Strategieformulierung eingebunden sein und auch die eigentliche Wertschöpfung soll sich am Kundennutzen orientieren. Im agilen Unternehmen bauen Zielsetzung und Strategie auf dem Kundennutzen auf und viele finanzielle Mittel fließen in Weiterentwicklung der Marke und der Produktpalette.
Auch im Bereich der Prozessgestaltung schlagen agile Unternehmen eine andere Gangart ein. Sie haben eine große Nähe zu den Bedürfnissen der Kunden, wodurch Prozesse im Unternehmen durch ihn gestaltet werden, da sie sich konsequent an der Nachfrage orientieren. Das Ergebnis sind schnellerer Output und bessere Qualität. Klassische Unternehmen haben im Gegensatz dazu oft lange Reaktionszeiten auf Kundenbedürfnisse.
Ein agiles Unternehmen bindet den Kunden in die interne Kommunikation ein. Es wird sich wertschätzend und auf Augenhöhe begegnet, wodurch vertrauensvolle Kundenbeziehungen entstehen. Durch diese Beziehungen wird Wissen angesammelt, welches über die Unternehmensgrenze hinweg reicht.
Struktur
Klassische Organisationen zeichnen sich durch starke Hierarchien und Zentralisierung aus. Im agilen Unternehmen verändern sich die Rahmenbedingungen, in denen die Mitarbeiter ihre Arbeit ausführen. Unter dem Begriff Wandlungsfähigkeit versteht man die Arbeit in Netzwerken und die Entwicklung von dezentralen Regeln und Abläufen, die sich ständig anpassen. Die Struktur ist also sehr dynamisch, sodass sogar Arbeitszeiten und -plätze flexibel sind. Dazu ist eine Organisation mit stabilen Hierarchien und top-down Entscheidungswegen nicht fähig. Agilität bedeutet hier kürzere Planungs- und Umsetzungszyklen, die sofort angepasst werden können. Die Fehlerkultur ändert sich, da Fehler nicht nur in Kauf genommen werden, sondern auch frühzeitig erkannt werden, da Prozesse regelmäßig hinterfragt werden. Wichtig ist auch die Durchlässigkeit nach Außen, wie schon in dem Abschnitt Kundeneinfluss angedeutet. Die kundenorientierte Ausrichtung kann nur gewährleistet werden, wenn diese Offenheit besteht und die Bereiche Strategie, Prozesse und Kommunikation beeinflussen kann. Im Rahmen von agilen Organisationen spricht man von einer organischen Struktur oder internen Vernetzung, die sich durch Selbstorganisation auszeichnet. Der Begriff der Selbstorganisation stammt aus der Systemtheorie. Die Struktur besteht aus Teams mit Eigenverantwortung, die sogar teils ohne Führungskraft auskommen.
Kommunikation
Im Gegensatz zu agilen Unternehmen ist in klassischen Organisationen viel formelle Kommunikation zu beobachten, welche oft für die Machterhaltung missbraucht wird. Die Informationen laufen bei den Führungskräften zusammen und sind somit eine seltene Ware. In agilen Systemen ist Vertrauen von besonderer Wichtigkeit, die wiederum die Transparenz bestimmt. Vertrauen ist die Voraussetzung für eine förderliche Kommunikationskultur. Dabei gehen die Forderungen der Transparenz teilweise so weit, wie das Mitteilen der Unternehmenskennzahlen für alle Mitarbeiter, um die Eigenverantwortung anzuregen.
Das beschriebene Vertrauen kann eine Organisation nur erreichen, wenn die Kommunikation direkt und persönlich ist. In agilen Unternehmen ist die informelle Kommunikation von besonderer Bedeutung. Die Kommunikation fernab von starren Regeln ist grundlegend für Zielgerichtetheit, obwohl die Entscheidungsfreiheit größer ist und die Vorgaben für Prozesse geringer. Die Kommunikation soll möglichst direkt und ohne Umwege stattfinden und sollte authentisch und nicht zu politisch sein. Agile Unternehmen vermeiden ein zu viel an Standardisierung, um unerwartete Ereignisse schnell in die Kommunikation einzubeziehen. Dadurch wird die Kommunikation fähig, mit dem ständigen Wandel mitzuhalten.
Führung
Dem klassischen Führungsbild liegt die Vorstellung zu Grunde, dass Führungsstile durch das Durchsetzen von Maßnahmen definiert und dass alle Veränderungen bis ins letzte Detail geplant werden können. Hier sollen alle Menschen ein gemeinsames Bild haben, während die individuellen Sichtweisen in den Hintergrund treten.
In der agilen Organisation ist Führung durch Kontrolle so nicht mehr möglich - hier geht es um die Befähigung der Mitarbeiter zur Selbstorganisation. Führungskräfte sind nicht verbannt, aber ihre Aufgaben ändern sich. Mitarbeiter sollen angeregt werden, ihre Probleme selbst zu lösen. Es wird nicht mehr ausschließlich auf die individuelle Leistung geschaut, sondern mehr auf das Team und das System. Manager agieren mehr aus der Rolle eines Coaches und vermitteln die entscheidende Fähigkeit der Selbstreflexion. Die Veränderung des Führungsverständnisses ist eine der größten Herausforderungen der Agilität. So müssen sich nicht nur die Führungskräfte verändern, sondern auch die Mitarbeiter sehen sich vor Aufgaben der Selbstorganisation und Verantwortung. Die neue Freiheit kann durchaus zu Überforderung führen. Eine Fehlerkultur, die Fehler als Möglichkeit des Lernens betrachtet, ist zwingend notwendig. Neben fachspezifischen Kenntnissen wird auch immer mehr interdisziplinäre Kompetenz der Mitarbeiter gefordert, die sich durch Leistungs- und Lernbereitschaft auszeichnen sollen.
Selbstorganisation wird in diesem Kontext nicht als Chaos und weniger Ordnung verstanden, sondern aus systemtheoretischer Sicht als eine stabile Form der Musterbildung. Innerhalb dieser Form arbeiten Mitarbeiter und Führungskräfte nach einfachen Regeln. Zu diesen Regeln gehören allerdings auch ein übergeordneter Sinn und ein gemeinsames Ziel. Das zugrunde liegende Menschenbild in agilen Unternehmen lässt sich wohl am besten mit dem autonomen Menschen beschreiben. Dieser wird nicht zur Arbeit gezwungen und nicht kontrolliert.
Prozesse
Auch in diesem Bereich gibt es grundlegende Unterschiede zur klassischen Organisation, die sich nur langsam an externe Bedingungen anpassen. Die einzelnen Projektphasen dauern länger und auch der Kunde wird erst viel später einbezogen. Prozesse lassen kaum Veränderungen zu. In agilen Projekten werden Anforderungen kontinuierlich den Kundenbedürfnissen angepasst. Sie werden so gestaltet, dass sie jederzeit Feedback aufnehmen können. Prozesse werden in kleine Teilprozesse aufgeteilt, sogenannte Sprints, um die Anpassungsgeschwindigkeit hoch zu halten. Der Beginn einer Projektphase ist durch eine inkrementelle Vorgehensweise ausgezeichnet. Der Auftrag wird also in kleine Einheiten aufgeteilt, um besser zu priorisieren und schneller Ergebnisse für den Kunden zu liefern. Die Prozessgestaltung zeichnet sich durch Iterationen aus - also die Wiederholung unter kontinuierlicher Veränderung und Verbesserung der Prozesse. Dabei wird transparent kommuniziert, sowohl mit den Teams als auch mit den Kunden.
Lernen
Unternehmen mit agiler Ausrichtung sind hochgradig vernetzt beim Wissensaustausch. Auch hier stehen auf der anderen Seite klassische Unternehmen, die Wissen nicht mit anderen Mitarbeitern teilen und eigentlich niemals mit außenstehenden Gruppen. Lernen geschieht meist in Form von groß angelegten Veränderungsprozessen mit langen Planungs- und Analysephasen. In agilen Unternehmen wird Wissen geteilt, sowohl innerhalb der Organisation als auch mit externen Partnern. Das soll die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und die Motivation und Teilhabe der Mitarbeiter sicherstellen.
Agile Teams müssen sich kontinuierlich verbessern. Nicht nur auf der Ebene der Prozesse, sondern auch der einzelnen Teammitglieder. Das beliebteste Instrument hierfür ist Feedback. Die Feedbackschleifen werden dabei kürzer und es kommen 360-Grad-Feedbackverfahren zum Einsatz. Besonders betont wird das Lernen aus Erfahrung: Die schnellen Feedbackschleifen ermöglichen dabei schnelle Anpassungen und verhindern mittel- und langfristige Fehlentwicklungen.
Entscheidungsfindung
Die Rollen von Entscheidungsprozessen verändern sich im agilen Unternehmen. In einer klassischen Organisation werden Entscheidungen von der Führungskraft getroffen, da diese mehr Informationen besitzt und letztlich die Verantwortung trägt. Agilität bedeutet in diesem Zusammenhang durch verstärkte Transparenz Entscheidungen aus geteilter Verantwortung. Jeder, der das notwendige Know-How mitbringt und möchte, kann Entscheidungen treffen. Titel oder Hierarchie sind zweitrangig. Vor einer Entscheidung ist allerdings die Meinung von betroffenen Mitarbeitern einzuholen. Entscheidungen gibt es auf drei Ebenen: Betrifft sie nur die einzelne Person, wird keine weitere Abstimmung benötigt. Hätten Entscheidungen Auswirkungen auf die Arbeit der Gruppe, müssen die Kollegen vorher befragt werden. Sind es jedoch Entscheidungen, die das gesamte Unternehmen betreffen, werden auch Mitarbeiter abteilungsübergreifend einbezogen.

Über den Autor - Patrick Krisch
Patrick Krisch ist Mitgründer von Barrierefrei im Kopf und leitet derzeit eine Abteilung in einem erfolgreichen Softwareunternehmen. Dort begleitet er aktiv Change-Prozesse und treibt diese erfolgreich voran. Im BiKmagazin teilt er seine Expertise mit den Lesern und gibt wertvolle praktische Tipps.
Agilität - ein Fazit
Agilität ist die Antwort der Unternehmen auf sich verändernde Umweltbedingungen. Unternehmen geht es in dieser Hinsicht nicht anders als Menschen. Durch die kontinuierliche Veränderung der Umwelt muss sich der Mensch anpassen. Schafft er das nicht mehr, gerät er ins Hintertreffen und wird krank. Für Unternehmen bedeutet das also nicht nur Umsatzeinbrüche, sondern im schlimmsten Fall sogar Insolvenz. Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel sind die drei wichtigsten Gründe, die zur Entwicklung der Agilität, wie sie heute verstanden wird, geführt haben. Für Unternehmen bedeutet das neben dem Aufrechterhalten des Tagesgeschäfts tiefgreifende Veränderungen in einer Vielzahl von Unternehmensbereichen. Unternehmen, die die Transformation hin zu einer agilen Organisation geschafft haben, sind bereit, auf die Anforderungen der VUCA-Welt zu reagieren. In der Wirtschaft gibt es unzählige Unternehmen, die die Transformation bereits erfolgreich durchlaufen haben. Unternehmen, die den Wandel anstreben, sind also nicht in einem Vakuum. Sicherlich mag der Ausblick, den eine Umgestaltung des klassischen Unternehmens zu einer agilen Organisation, mit sich bringt auf den ersten Blick etwas einschüchternd wirken, aber unzählige Beispiele zeigen, dass Agilität ein machbares Unterfangen ist, von dem das Unternehmen langfristig profitieren kann.